Von Karthaus kommend an Unser Frau vorbei, geht es Richtung Vernagt nach rechts. Das Haus mit dem schmucken Namen „Waldheim“ macht seinem Namen alle Ehre – es schmiegt sich an einen Waldhang, der sich mit aufblühenden Lärchen und charakterstarken Felsnasen zeigt.
Auf einer simplen Tischkonstruktion unterhalb der Garage stehen allerlei Werkzeuge: Meißel, Stockhammer und Hohlbohrkronen aus Hartmetall. Ein langer schwarzer Staubsaugerschlauch liegt bereit, damit der Steinstaub, der bei der Steinbearbeitung entsteht, gleich abgesaugt werden kann. Links dahinter ein kleines Häuflein aus runden Steinen von „zwei Handteller groß“ bis „den kann man aber nicht mehr einfach so tragen“.
Harald Rainer in Arbeitsschutzhosen, Steinmetz und Fliesenleger von Beruf, legt sein Werkzeug aus der Hand, zieht seine Handschuhe aus und empfängt uns mit einem verschmitzten Lächeln. Sogleich beginnt er, von „seinen“ Steinen zu sprechen. Er weist dabei auf die Schnalstaler Gebirgswelt ringsum.
„Mit dem Schnalser Gneis habe ich wohl am meisten zu tun. Das ist eine Gesteinsart, die unter hohem Druck oder hoher Temperatur entsteht“, meint Harald. Aus den vielfarbigen Schichten kann man die verschiedensten Mineralablagerungen ablesen und wenn Harald sie bearbeitet, kommen dekorative Maserungen und Linienspiele zum Vorschein. „Ich arbeite fast ausschließlich mit Gesteinen aus dem Schnalstal“, so Harald. „Jeder Steinmetz hat seinen Lieblingsstein, der Schnalser Gneis ist der meine“.
Ein steinerner Garten
Vor dem Waldheim öffnet sich ein kleiner Garten, der an asiatische Landschaftsminiaturen erinnert. Darin ruht ein Steinbrunnen in Hinkelstein-Ästhetik, aus einer Steinmulde wachsen Blumen, ein sanft gewellter Steinhocker aus Gneis gleicht einem – dem menschlichen Körper perfekt angepassten – Plüschsessel oder einem Königsthron, wie aus einer Dolomiten-Sage. „Meine Mutter fühlt sich auf dem hier besonders wohl“, lächelt Harald, „wenn die Sonne den Gneis aufwärmt, sitzt sie oft hier und schaut in die Welt.“
Steine suchen ist (auch) Teamwork
Steine finde er überall und es komme schon mal vor, dass sich die gesamte Familie in den Schnalstaler Bergen auf die Suche begibt, nach passenden Exemplaren für Kerzenhalter oder andere, tragbare Schiefersteine, die zu Accessoires geformt werden wollen. In der freien Natur lässt sich oft das eine Gestein vom anderen nicht ganz unterscheiden. Da ist's auch schon mal vorgekommen, dass der Jüngste, damals zarte zwei Jahre alt, ganz begeistert mit einem verwitterten und ausgehärteten „Kuhtoast“ (Kuhfladen) daherkam. Eine kleine Anekdote, die Harald heute noch lachen lässt.
Auf den Stein gekommen
„Ich erinnere mich gut daran, wie ich selbst als kleiner Bub bei meinem Onkel in Deutschland zu Besuch war. Für einige Stunden habe ich mich davongestohlen und bei seinem Nachbarn, einem Steinmetz, meine ersten Experimente in der Steinbearbeitung gemacht!“, grinst Harald.
Während die Familie sich schon sorgte, entflammte in ihm wohl eine Begeisterung, die bis heute seinen beruflichen Werdegang bestimmt. Und viel mehr als ein Beruf, scheint es der pure Gestaltungswille zu sein, der hier aus ihm spricht.
Rings um den Heimarbeitsplatz von Harald Rainer finden sich zahllose Steinskulpturen und -objekte. Alle Steine kämen aus dem Schnalser Bachbett. Das Gletscherwasser hat sie beständig geschliffen und abgerundet. Er wählt sie nach Gefühl aus und manchmal, ist er überzeugt, bieten sich die Steine von selber an.
„Oft arbeite ich allerdings direkt mit meinen Kunden zusammen. Wenn sie zum Beispiel bei Umbauarbeiten baggern, kommen nicht selten große Gneise zum Vorschein“, so Harald. Die könne er nicht allein transportieren, da müsse ihm schon mal ein Bauer mit seinem Traktor helfen. Aus dem Fundstück wird dann entweder sofort was gemacht, oder der Stein wartet auf den richtigen Moment und die richtige Idee – und dekoriert inzwischen den Waldheim'schen Garten.
Steine und Dinge anders denken
Seine Ausbildung habe er in Salzburg an der Steinmetzschule Wals-Siezenheim genossen und in Meran bei zwei Steinmetzbetrieben die Praxis erlernt. 2005 gründete Harald Rainer dann seinen eigenen Betrieb. „Das Fliesenlegen ist sicher ein wichtiges Standbein. Oft kommen währenddessen meine Kunden mit ihren Ideen auf mich zu. Gemeinsam setzen wir sie dann um.“ Waren es in seiner Lehrzeit vielmals Grabsteine, die für so manche letzte Ruhestatt aus Stein gemeißelt wurden, so stellen sich im Schnalstal, wo die Friedhofskultur eine völlig andere ist, auch andere Anforderungen an einen Steinmetz.
„2016 wurde ich gebeten, einen Gedenkstein in Katharinaberg zu entwickeln, und von dem Moment an haben sich immer neue spannende Projekte ergeben“, berichtet Harald.
In den Steinmetz`schen Händen
Neugierig und nicht ganz verstohlen fällt der Blick auf seine Hände. Sie wirken kräftig, aber gleichzeitig wie filigranes Werkzeuge. „Oft habe ich das Gefühl, die Form im Stein bereits zu sehen und je mehr ich sie herausarbeite, desto mehr leitet mich der Stein mit seiner Einzigartigkeit“, so Harald.
Er weist auf einen kleinen Schuppen nebenan, ein kleiner Schauraum mit liebevoll arrangierten Steinobjekten made by Rainer. Aus einem Gneis wurde ein Waschbecken mit einem wundervollen Maserungsspiel herausgeschält. Der Wasserhahn fügt sich passgenau ein und die gesamte Wascheinheit verbreitet die luxuriöse Aura von Einzigartigkeit. In verschiedenste flache Schieferplatten wurden kleine Halböffnungen für Teelichter, Essig-, Öl- oder Weinflaschen gebohrt, auf ihnen noch Moos- und Flechtenüberreste. „Meine Objekte bringen die Natur in den Wohnraum zurück“, meint Harald stolz.
Abschließend präsentiert Harald noch seine Wohnung, wo er mit seiner fünfköpfigen Familie wohnt. Hohe, lichtgeflutete Räume. Steinkreationen hin und hin. Der selbstverlegte Fliesenboden aus quadratmetergroßen Natursteinen, die Wand hinter der Couch - ein Mosaik aus sandfarbenen, welligen Steinplaketten. Selbst an den Mörtelwänden hängt ein wunderbares Kunstwerk aus Mineralsand von Hans Luis „Hansi“ Platzgummer. Das Highlight ist allerdings eine Natursteindusche, die jedes Duschen ganz bestimmt zum „direkt unterm Wasserfall stehen“ macht. Ja, das Wesen der Natur sucht Harald Rainer in allen Dingen – auch in seinen Steinen.