1084 gründete Otto von Köln in der Nähe von Grenoble den berühmten Kartäuserorden. Seitdem wurden bis heute weltweit nur 272 Kartausen gegründet – eine davon im Schnalstal. Wenn das kein Grund für einen Besuch ist.
Nach 20 Minuten Fahrt verstaue ich den Autoschlüssel in der Jackentasche und werfe noch einen Blick auf mein Handy. Die Empfangsanzeige kann sich nicht entscheiden, springt von einem Balken auf zwei und wieder zurück. Ich zucke mit den Schultern: Schlechter Handyempfang ist vermutlich besser für den Geist.
Ein Linienbus wartet an der Haltestelle, niemand steigt aus, niemand ein. Ich schlüpfe durch einen Tordurchgang und befinde mich auf dem Dorfplatz. Keine Menschenseele in Sicht, und die Stille, die sich in den Tagen von Corona über viele Dörfer gelegt hat, gibt wohl auch hier eine Ahnung, wie still es in Allerengelberg vor Jahrhunderten gewesen sein muss. Ohne es wirklich zu merken, ist man in Karthaus gleich mitten drin in der ursprünglichen Klosteranlage. Ich komme an einer Gruppe eindrücklichen Figuren vorbei, die den Dorfplatz dominiert: eine dunkle Mönchprozession, einer blickt den Betrachter direkt an, in seinen Händen trägt er den Schriftzug „Memento mori“ - bedenke, dass du sterben wirst. Eine Brise fegt über den Platz, aber selbst sie ist leise.
Ich trete in den Kreuzgang und fühle mich wie aus der Zeit gefallen: Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie hier vor Jahrhunderten die weiß gewandeten Mönche auf und nieder wandelten. Der Tagesablauf der Brüder war streng geregelt und über allem stand das Schweigen. Sprechen war nur fürs Gebet und die Messe erlaubt – und um bei einem Todesfall Trost zu spenden. Obwohl die Mönche eine Gemeinschaft bildeten, lebte jeder für sich alleine: Zurückgezogen in kleine Häuschen, den sogenannten „Zellen“, widmete sich dort jeder dem Gebet, dem Studium und einem Handwerk.
Selbst die kargen Mahlzeiten, immer fleischlos, wurden alleine eingenommen. Ich luge durch eine der kleinen Durchreichen, durch die jedem Mönch sein Essen in die Zelle geschoben wurde. Die sogenannten Schublöcher wurden so gebaut, dass der Teller „ums Eck“ gereicht werden musste. Damit war selbst Augenkontakt zwischen den Brüdern ausgeschlossen. Die Zellen, in denen die Mönche einst in Kontemplation versanken, sind heute Wohnungen. Auf einer Stufe steht ein Paket eines bekannten Onlinehändlers, an einer anderen Tür hängt ein dekorativer Kranz. Ich blicke links durch die Bogenfenster, hinein in den Innenhof des Kreuzganges, der heute eine Wiese ist und früher als Klosterfriedhof diente. Ein extra angelegtes Beet in dieser Wiese gibt einen Einblick, welche Kräuter im Kloster angebaut wurden und welchen medizinischen Nutzen sie haben. Ich stehe eine Weile davor und grüble über das alte Wissen nach. Denke an meine Großmutter, die überall Gräser und Kräuter erspähte. Als ich sie einmal fragte, wie sie sich an alle erinnern kann, schaute sie mich nur traurig an, so als würde sie bei sich denken, was ist nur aus der Menschheit geworden.