Monika Thomaser


☛ Direktorin der Sozialgenossenschaft Albatros | Luis Zuegg Straße 48 🖈 
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Sie arbeitet hart daran, Bruchlandungen zu vermeiden und anstelle dessen Menschen im Gleitflug zurück in die Gesellschaft zu integrieren: die Sozialgenossenschaft Albatros. Auch mit der Kurverwaltung Meran, die mit mehreren Genossenschaften zusammenarbeitet, kooperiert die in verschiedenen Bereichen tätige und 1994 gegründete Sozialgenossenschaft. Im Gespräch mit der Direktorin, der Rechtswissenschaftlerin Monika Thomaser, die seit 2006 für Albatros tätig ist, geht es um das Wie, das Was und das Warum eines Arbeitgebers, der zu den 50 größten der Stadt Meran zählt.
Frau Thomaser, der Name Albatros wurde nicht zufällig gewählt. Warum war er der Richtige für die Genossenschaft?

Der Vogel Albatros ist ein exzellenter Flieger, hat aber große Schwierigkeiten beim Starten und Landen. Zum Starten braucht er eine Art Sprungbrett und beim Landen überschlägt er sich gerne, da er viel zu schnell unterwegs ist. Der Name Albatros wurde von den Gründern ganz bewusst gewählt und symbolisiert das Sprungbrett für benachteiligte Menschen in die Arbeitswelt.


Wer arbeitet alles für Albatros? Welche Krankheitsbilder sind vertreten?

In Albatros arbeiten Menschen wie du und ich. Aber nicht nur. Es arbeiten auch Menschen, die am freien Arbeitsmarkt keine Chance auf Arbeit haben. Suchtkranke Menschen, psychisch Kranke, Invaliden, Haftentlassene, Langzeitarbeitslose arbeiten Hand in Hand mit unseren Fachkräften.


Welche Arbeiten/Dienstleistungen werden von Albatros generell im Bereich Tourismus getätigt?

Ich denke, von jeder Dienstleistung profitiert sowohl die einheimische Bevölkerung als auch der Tourismus. Das lässt sich nicht trennen. Wir reinigen öffentliche Toiletten und Bushaltestellen, erbringen den Kassadienst in den Meraner Museen, verteilen Infomaterial an die Hotellerie und Gastronomie, renovieren die Meraner Stadtbänke, bauen die Meraner Marktstände auf und ab, verwalten den Bike Sharing Dienst ... Dies alles sind Leistungen, die den Bürgern aber auch den Besuchern unserer Stadt zugutekommen.


Welche Arbeiten werden für die Kurverwaltung Meran durchgeführt und wie funktioniert die Zusammenarbeit?

Im Auftrag der Kurverwaltung verteilen wir regelmäßig Informationsmaterial für die Touristen an die Hotels und Gastbetriebe und wir bauen die Stände des Meraner Marktes auf und ab. Die Zusammenarbeit mit der Kurverwaltung läuft sehr gut. Die Kurverwaltung Meran kennt und vor allem schätzt unseren sozialen Auftrag der Arbeitseingliederung.
Erzählen Sie uns von besonders gelungenen Wiedereingliederungen in die Arbeitswelt?

Im Grunde ist jedes Eingliederungsprojekt ein Erfolgsprojekt. Denn jeder einzelne gearbeitete Tag ist besser als das Nichtstun und belastet das Sozialsystem weniger.


Tischlerei, Gartenbau, Reinigung, Umwelt (Kleidersammlung), Tertiär (Verteilung von Infomaterial, Nacht- und Kassadienst, Auf- und Abbau Meraner Markt): das klingt nach vielseitiger Beschäftigung. Vielfalt macht Freude, aber meistens bedeutet sie auch ein Mehr an Arbeit. Wie gelingt das?

Wir brauchen Vielfalt, da unsere Mitarbeiter so vielfältig sind. Alle haben ihren Rucksack unterschiedlich bepackt, haben unterschiedliche Vorstellungen und Bedürfnisse. Und bei uns soll jeder Arbeit leisten können - gemäß seinen eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Dies gelingt dank kompetenter und zuverlässiger Mitarbeiter. Unsere Bereichsleiter zeichnen sich durch eine sehr hohe Flexibilität aus, sind offen für neue Beschäftigungsfelder und verfolgen dabei stets das Ziel, Arbeitsplätze für benachteiligte Menschen zu schaffen.


Vollzeit, Teilzeit, Praktika mit Taschengeld, stundenweise Arbeitseinsätze: Das ist unternehmerisch anspruchsvoll, all diese Möglichkeiten anzubieten. Warum gelingt es Albatros dennoch, was Unternehmen nicht gelingt? Liegt das ausschließlich an den Zuschüssen und Leistungen von u.a. der Autonomen Provinz Bozen (19 Prozent des Gesamtumsatzes aus den öffentlichen Beiträgen der Provinz, 2022, weiteren Sponsoren und/oder einer anderen Besteuerung?

Einige Zahlen vorausgeschickt: 81% unseres Umsatzes erwirtschaften wir mit dem Verkauf unserer Dienstleistungen und Produkte, die restlichen 19% sind öffentliche Beiträge. Der öffentliche Beitrag deckt nicht unsere gesamten sozialen Kosten, sprich die Arbeitseingliederungsprojekte und den Pädagogen. 78% unserer Kunden sind Privatkunden und 22% erwirtschaften wir über öffentliche Ausschreibungen. Somit bewegen wir uns am Markt wie jedes andere Unternehmen. Wir müssen unsere Dienste und Produkte an den Mann bzw. die Frau bringen, wir müssen rentabel arbeiten, damit wir unsere Kosten decken und unser soziales Plus der Arbeitseingliederung finanzieren können.


In der Tischlerei arbeiten keine Frauen. Warum nicht?

Die Arbeit in der Tischlerei – übrigens arbeiten auch im Gartenbau keine Frauen – ist körperlich sehr anstrengend. Ein Teilbereich der Tischlerei sind Umzüge und Entsorgungen und da muss man zupacken können. Nicht, dass Frauen nicht auch zupacken könnten, ganz im Gegenteil. Aber es hat sich so ergeben, dass Frauen in der Reinigung Beschäftigung finden. Der Männeranteil unserer Arbeitseingliederungsprojekte macht 80% aus.


Wie viele Sprachen sprechen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter insgesamt?

Wir haben 70 Mitarbeiter und 12 Nationalitäten. Sprachen haben wir nie gezählt.


Ist Sprache ein Thema, da ja auch viele aus dem Ausland bei Albatros beschäftigt sind?

Sprache ist selbstverständlich ein Thema, denn Sprache ist Voraussetzung für gelungene Kommunikation. Grundkenntnisse einer Landessprache sind notwendig, um bei uns zu arbeiten. Wir hatten einige wenige Projekte ohne Sprachkenntnisse, die Kommunikation erfolgte mit Handzetteln. Dies war sehr mühsam für alle Beteiligten und unter sicherheitstechnischen Aspekten nicht tragbar. Also Grundkenntnisse sind ein Muss, wir unterstützen gerne bei berufsbegleitenden Sprachkursen.
Ist Straffälligkeit ein Thema, Rückfälle? Menschen, denen die Wiedereingliederung nicht gelingt?

Zur Wiedereingliederung gehört auch der Rückfall. In regelmäßigen Standortgesprächen überprüft unser Pädagoge die Entwicklungen des Arbeitseingliederungsprojektes. Bei einem drohenden Rückfall steuert er unmittelbar gegen und setzt Maßnahmen, um den Schaden zu minimieren. Jeder hat eine zweite Chance verdient und in Albatros besteht halt auch die Möglichkeit einer dritten Chance. Es gibt aber Projekte, die wir vorzeitig abbrechen müssen. In diesem Fall war die Person vielleicht noch nicht so weit oder wir waren die falsche Organisation. Eine Tür bleibt bei uns immer offen.


Gibt es eine gemeinsame Jahresfeier?

Wir werden am Sonntag, den 26. Mai 2024 30 Jahre alt. Es wird eine Mitarbeiterfeier geben. Wie genau gefeiert wird, das ist eine Überraschung und kann hier nicht verraten werden.


Innerhalb des Geschäftsfeldes Gebäudereinigung arbeiten Sie strikt ökologisch. Nur mit Wasser oder auch mit anderen Produkten?

Wir arbeiten grundsätzlich mit biologisch abbaubaren Produkten. Dort wo möglich und sofern vom Kunden gewünscht, arbeiten wir ganz ohne Chemie, nur mit Wasser und speziellen Fasern. Dies hängt vom Einsatzbereich ab. Aber der ökologische Aspekt der Reinigung ist uns sehr wichtig, sowohl für den Schutz der Umwelt als auch für die Sicherheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter.


Gilt ökologisches Arbeiten für alle anderen Geschäftsfelder ebenso?

Wo immer wir können, leisten wir unseren Beitrag, um unseren CO2-Fußabdruck zu reduzieren. So zum Beispiel investieren wir in Elektromobilität, fördern die Fortbewegung der Mitarbeiter mit Bus, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Wir bevorzugen regionale Produkte und Lieferanten, setzen auf Recycling und biologisch abbaubare Produkte. 


Wie gelingen diese Arbeiten?

Bei den Reinigungs- und Gartenarbeiten, auch bei der Tischlerei sind viel Wissen und Können Voraussetzung. Unsere Fachkräfte arbeiten Hand in Hand mit den Arbeitseingliederungsprojekten. Die benachteiligten Meschen werden am Arbeitsplatz begleitet und fachlich angeleitet. Dies erfordert Fachwissen und Erfahrung, aber auch Geduld und Einfühlungsvermögen. Wir haben ein tolles Team mit einem enormen sozialen Engagement, das gleichzeitig den Ansprüchen unserer Kunden gerecht wird. Dieser Balanceakt zwischen wirtschaftlichem Anspruch und sozialem Auftrag gelingt uns immerhin seit 30 Jahren.


Wie ist die Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit? Ist den Meranerinnen und Meranern bewusst, an welchen Veranstaltungen oder Dienstleistungen Albatros direkt oder indirekt beteiligt ist?

Unseren sozialen Auftrag kennen wohl nur Menschen, die direkt betroffen sind und selbst ein Arbeitseingliederungsprojekt benötigen oder deren Verwandte und Bekannte. Kunden, die unsere Produkte und Dienstleistungen kaufen, kennen den sozialen Auftrag kaum. Vielfach herrscht die Meinung, wenn ich bei einer Sozialgenossenschaft einkaufe, dann kostet dies weniger. Was natürlich Unsinn ist. Um am Markt zu bestehen, müssen wir qualitativ hochwertige Produkte und Dienste liefern. Und Qualität hat bekanntlich ihren Preis.
 
Albatros hat den Südtiroler Mobilitätspreis für seine Anreise zum Arbeitsplatz per Muskelkraft bekommen. Fahrrad, Fußmarsch, E-Bike. Wird das geschätzt? Wie funktioniert das in den Wintermonaten?

Ein Führerschein ist in vielen Branchen eine Grundvoraussetzung, um Arbeit zu finden. 38% unserer Mitarbeiter besitzen keinen Führerschein und produzieren somit keine Emissionen im Straßenverkehr. Sie bewegen sich zu Fuß, mit dem Rad oder Bus – auch während der Arbeitszeit und auch während der Wintermonate. Wir geben unseren Mitarbeitern die notwendige Zeit, um sich sanft fortzubewegen. Ganz ohne Stress und Hektik, jeder in seinem Tempo. Dies wirkt entschleunigend und fördert die körperliche und mentale Gesundheit. Die Fußzeit, um von einem Einsatzort zum nächsten zu gelangen, ist Teil der vergüteten Arbeitszeit. Diese Mehrkosten tragen wir aus Überzeugung und zum Wohl unserer Mitarbeiter.


Der soziale Mehrwert 2022 belief sich auf 444.000 Euro. Wie errechnet er sich?

Der soziale Mehrwert errechnet sich aus den an die benachteiligten Personen bezahlten Löhnen, Sozialabgaben und Steuern. Der monetäre Nutzen für die Gesellschaft ist aber viel höher. Potentielle Sozialhilfeempfänger werden mit der Beschäftigung in Albatros aktive Steuerzahler und Teilhaber am Wirtschaftskreislauf. Menschen, die am Arbeitsalltag teilnehmen, geht es körperlich und psychisch besser, sie belasten die Sozial- und Gesundheitssysteme weniger.


Was ist die durchschnittliche Dauer eines Vollzeitarbeitsplatzes bei Albatros in Jahren? Was die einer Teilzeitstelle?

Ob Vollzeit oder Teilzeit hängt ganz von den Möglichkeiten der Person ab. Ein Arbeitseingliederungsprojekt dauert nach unseren Kriterien 3 Jahre. Dann sollte die Person den Wiedereinstieg in den freien Arbeitsmarkt schaffen. Das ist aber inzwischen Utopie. Die Anforderungen des Marktes und der gesellschaftliche Druck sind enorm gestiegen. Unseren Projekten fehlt es häufig an beruflicher Qualifikation, Belastbarkeit, Flexibilität. In manchen Fällen ist die Beschäftigung in Albatros die bestmögliche Lösung für die Person – bei Bedarf auch bis zum Zeitpunkt der Pensionierung.


Mit den Augen der Fachfrau und damit aus sozialer Sicht betrachtet: Wie schneidet die Stadt Meran ab?

Meran hat einen sehr hohen Lebensstandard. Immer mehr Arbeitnehmer können sich den aber nicht mehr leisten. Wenn ein Arbeiter in Vollzeit mit seinem Einkommen kein Auskommen hat, dann ist dies beschämend für eine Gesellschaft. Jeder dritte Berufstätige kommt mit seinem Lohn nur schwer über die Runden. Das ist dramatisch. Der größte Kostenfresser ist das Wohnen. Wir erfahren täglich, dass Mitarbeiter verzweifelt eine leistbare Wohnung in Meran suchen. Hier muss angesetzt werden. Wohnen ist ein Grundbedürfnis und es ist Aufgabe der Politik, dafür Sorge zu tragen, dass Wohnraum geschaffen wird, den sich die Bürger auch leisten können.


Worin liegen die nächsten Herausforderungen, was könnte Meran besser machen?

Es braucht endlich eine Partnerschaft auf Augenhöhe zwischen Sozialgenossenschaften wie uns und der öffentlichen Verwaltung. Sozialgenossenschaften erfüllen einen sehr wichtigen gesellschaftlichen Auftrag: wir beschäftigen Menschen, die sonst niemand haben will. 22% unseres Umsatzes erwirtschaften wir aus öffentlichen Aufträgen. Das ist doch sehr wenig. Und auch die Stadtgemeinde Meran hat hier Nachholbedarf. In den letzten Jahren wurden immer mehr Dienste in immer größere Ausschreibungen gepackt und dann kommen halt auswärtige Unternehmen mit Wahnsinnsabschlägen zum Zug. Damit werden zwar kurzfristig Gelder eingespart, die finanziellen Belastungen für die Gesundheits- und Sozialsystem sind aber um ein Vielfaches höher. Unser Dienst muss endlich wertgeschätzt und als gemeinsames Projekt zum Wohl der gesamten Stadtbevölkerung erkannt werden.


Mai 2024

 
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