Zwischen Saatgut und Äpfeln
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Zwischen Saatgut und Äpfeln

In Lana und Umgebung lebt die Vielfalt. Nicht nur Äpfel wachsen hier seit Jahrhunderten in allen Höhenlagen. Die glückliche Kombination aus mediterranem und alpinem Klima bietet Platz für viel mehr.

Andere müssen in den Laden, Martha Lochmann geht mit einem kleinen Messerchen bewaffnet in den Garten. „Hier habe ich alles, was man so braucht.“ Die Bäuerin mit dem langen grauen Zopf und der blauen Schürze steht im kleinen Folientunnel im Garten. Auf dem Tisch an der Seite eine Reihe kleiner Töpfchen mit Sprösslingen: Hier zieht die Bäuerin ihre Pflanzen für den Acker. Von einigen erntet sie im Herbst das Saatgut. Zwölf Sorten Tomaten,  verschiedene Salate, Rote Bete, Erdbeeren und ungewöhnliche Pflanzen wie die Luftzwiebel oder Oka – die Liste könnte man ewig weiter führen. Wie viele verschiedene Pflanzen sie hat, weiß die 60-Jährige nicht. Zum Zählen hätte sie auch gar keine Zeit. Selbst Saatgut zu ziehen ist sehr zeitaufwendig, aber für Martha käme etwas anderes nie in Frage. Seit sie 2002 einen Kurs zur Saatgutvermehrung besuchte, ist sie nicht mehr zu bremsen. „Ich mache das, damit wir auch morgen noch besitzen, was wir in diesem Jahr haben“, sagt sie bestimmt.
Samen, Sorten, Saatgut
Hier, auf 700 Metern in Völlan, bewirtschaftet Martha mit ihrem Mann Hermann den kleinen Hof Bildheim, den ihre Großeltern 1939 gebaut haben. Das Holzhaus mit dem spitzen Giebel gleicht einem Hexenhäuschen. Wilder Wein rankt sich an der Mauer nach oben, im Innenhof hängen getrocknete Samenstände zum Dreschen. Vor dem Eingang steht eine große Kiste voll mit JonagoldÄpfeln. „Für den Eigengebrauch, damit wir nicht im Winter Äpfel kaufen müssen“, sagt Martha. Sie ist Mitglied beim Verein Sortengarten, der sich um den Erhalt von alten und lokalen Sorten kümmert. Auf einem Hektar wachsen hier verschiedene Sorten Äpfel, in der Nähe des Hauses stehen einige Kastanienbäume. Im Herbst, wenn die Nüsse in ihrer stacheligen Hülle von den Bäumen fallen, gibt es traditionell gebratene Kastanien. Dann kommt auch die Zeit, in der „das Dorf Kopf steht“. Jedes Jahr gibt es den „Keschtnriggl“, fast einen ganzen Monat lang mit Veranstaltungen rund um die Traditionsfrucht Kastanie. „Wir haben auch eine Vielfalt an Tieren“, sagt die Bäuerin und zeigt stolz auf die vielen verschiedenen Hühnerrassen, Enten, Zwergwachteln und Küken, die vor einigen Tagen geschlüpft sind. Auf dem Hof leben auch Schwarznasenschafe, Brillenschafe, Sattelziegen und Riesenscheckenhasen. Dadurch ist Bildheim nahezu ein Selbstversorgerhof.

Auf dem Tisch in der warmen Bauernstube zeigt mir Martha dutzende durchsichtige Döschen voller Saatgut. Es ist viel, was sie im Laufe von über zehn Jahren angesammelt hat. „Oft tut es mir weh, wenn ich sehe, dass sich die Leute nicht ums Saatgut kümmern“, beklagt sie sich. Für das Dorf ist die Bäuerin eine Bereicherung. Ihr Wissen gibt sie gerne an andere weiter, bei Kastanienwanderungen oder Käsereikursen für die Gäste der neun „Kreativen Bäuerinnen“ in Lana. Sie haben sich zusammengeschlossen, um den „Urlaub auf dem Bauernhof“ für ihre Gäste noch abwechslungsreicher zu gestalten.
Brauchtum und Tradition für die Gäste
Eine von den „Kreativen Bäuerinnen“ ist Ulrike Laimer vom Goldbichlhof in Lana. Der Hof aus dem 17. Jahrhundert liegt auf 450 Metern. Zwei Häuser und ein Stall mit 15 Schafen gehören dazu – das Hobby des Vaters von Ulrike – und einige Hühner, die gerade am Stallfenster Fliegen jagen. Die insgesamt 2,6 Hektar Grund dienen dem Obst- und Weinbau, auch einige Kastanienbäume haben hier ihren Platz. Über fünf Apfelsorten hat Ulrike angepflanzt, mit Hauptgewicht auf Golden und Stark Delicious sowie Fuji, dazu vier Sorten Wein: Chardonnay, Sauvignon, Gewürztraminer und Vernatsch. Die meisten Trauben liefert sie an eine Kellerei, nur ein bisschen Vernatsch keltert sie selbst – für den Eigengebrauch. Die Beeren und Früchte im Garten verarbeitet sie zu Marmeladen, der Apfelsaft ist ebenso Eigenbau wie der Speck. Die Schweineschlegel kauft sie jedes Jahr bei bekannten Bauern und räuchert sie nach alter Tradition selbst in ihrer „Selchküche“ – wie die Räucherkammer heißt, die früher auf jedem Bauernhof zu finden war.

Ulrike schwört auf Vielfalt. Sich auf eine Sache zu beschränken wäre nichts für sie, schließlich freuen sich auch die Gäste über den hausgeräucherten Speck, die frischen Eier zum Frühstück und über ein Glas Eigenbau-Wein. Zwei Wohnungen vermietet die 45-Jährige an Urlaubsgäste. Um ihnen etwas Besonderes bieten zu können, hat sie vor 14 Jahren zusammen mit anderen
Bäuerinnen die Kooperationsgruppe „Kreative Bäuerinnen“ gegründet. Seitdem unternehmen die Frauen regelmäßig gemeinsame Fackelwanderungen im Mondlicht, Weinverkostungen oder kochen zusammen mit den Gästen Südtiroler Spezialitäten, wie Apfelstrudel oder Knödel. Brauchtum und Tradition sind Ulrike dabei besonders wichtig. Beim Brotbacken verwenden die Frauen alte Rezepte von früher. Und manchmal sitzt die Bäuerin vom Goldbichlhof am Abend auch einfach gemütlich mit ihren Gästen zusammen, beim Grillen im Sommer oder beim Kastanienbraten im Herbst. „Ich bin glücklich, dass ich auf so einem Hof leben kann. Ich genieße die Ruhe hier oben“, sagt die Landwirtin, wenn sie einmal auch wirklich Zeit dafür findet.
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Harte Arbeit
Die Arbeit auf dem Hof ist zeitaufwendig und körperlich anstrengend. Eine Herausforderung. „Vor allem, weil das Gelände sehr steil ist und ich den Hof als Frau alleine bewirtschafte“, sagt die Mutter eines 25-jährigen Sohnes und zweier Töchter, 13 und 16 Jahre alt. „Aber ich mache meine Arbeit gerne, ich bin mit Leib und Seele Bäuerin.“ Zwar helfen ihre Eltern noch mit, so gut sie können, Ehemann Joachim ist aber voll berufstätig. Vor einem Jahr hatte sie einen ehemaligen Flüchtling aus Afrika auf dem Hof, der sie einige Monate bei der harten Arbeit auf dem Hof unterstützte. Übernommen hat Ulrike den Hof, den die Großeltern aus dem Ultental 1954 gekauft hatten, vor sechs Jahren. Von Anfang an war klar, dass sie hier die Bäuerin würde, denn von ihren vier Schwestern hatte sie ihren Vater am häufigsten bei der Arbeit in der Landwirtschaft begleitet. Von ihm hat sie auch mit nur 13 Jahren das Traktorfahren erlernt. Heute fährt Ulrike fast jeden Tag damit über die engen und steilen Wege rund um ihren Hof. Die jahrelange Übung kam ihr zugute: 2012 wurde sie Europameisterin im Traktorgeschicklichkeitsfahren. „Einen Fehler darf man sich hier nicht erlauben“, sagt sie und lacht. Dann geht sie auf die Wiese. In den nächsten Tagen steht viel Arbeit an. Ulrike muss das Gras um die Weinstöcke mähen und Äpfel „zupfen“ – die kleinen und die überflüssigen Äpfelchen entfernen, damit die restlichen gut wachsen können. Die harte Arbeit nimmt Ulrike auf sich. Ihr Lohn ist eine gute Ernte im Herbst und das Leben hier oben, wo sie sich wohlfühlt.
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